Allgemeines zu Bitterstoffen
Bitterstoffe sind keine Nährstoffe im klassischen Sinne, sondern gehören überwiegend zu den sekundären Pflanzeninhaltsstoffen. In früheren Zeiten teilte man die Pflanzenstoffe nach ihrem „Wert“ für die menschliche Ernährung auf: [1]
„Primär” waren sättigende, energieliefernde Inhaltsstoffe, wie Proteine (Eiweiße), Fette und Kohlenhydrate ebenso wie unverzichtbare Mineralstoffe und Vitamine. Als „sekundär” bezeichnete man alle weiteren pflanzlichen Inhaltsstoffe, die als nicht lebensnotwendig angesehen wurden. Sie stillen keinen Hunger und ihr Fehlen führt nicht zu einer Mangelerscheinung. Allerdings können sie durchaus gesundheitsfördernde Wirkungen zeigen. [2]
Der Begriff „Bitterstoffe“ ist eine Sammelbezeichnung für verschiedene Substanzklassen, die häufig dem pflanzlichen Sekundärstoffwechsel zuzuordnen sind. Diese Klassen unterscheiden sich in ihrer chemischen Struktur ebenso wie in Bezug auf ihre physikalisch-chemischen Eigenschaften sehr. Zu diesen Verbindungsklassen zählen die Isoprenoide (z. B. Mono-, Sesqui- und Triterpene), Phenole, Polyphenole, Alkaloide, Aminosäuren, Peptide, Saponine und Lignane. [1]
Typische pflanzliche Lebensmittel die Bitterstoffe enthalten sind Kräuter und Gewürze, wie z. B. Curcuma, Rosmarin, Salbei, Petersilie und Borretsch, Gemüse (Artischocke, Spargel, Paprika) und Salate (Chicorée, Endivie, Radicchio, Rucola) vor. Für z. B. Zucchini, Kürbis und Gurke wurden bitterstoffarme Varianten gezüchtet, da diese Geschmacksrichtung häufig unbeliebt und somit unerwünscht ist. [1]
Viele Bitterstoffe sind pharmakologisch von hoher Wirksamkeit und werden in Form von bitterstoffhaltigen Drogen, auch Amara genannt, bei Magen-Darmbeschwerden oder zur Appetitanregung eingesetzt. Auch spasmolytische, entzündungshemmende, antimykotische oder antibakterielle Wirkungen werden genutzt. [1]
Sensorische Wahrnehmung des Bittergeschmacks
Das Empfinden der sensorischen Qualität eines Lebensmittels wird durch den Geruch (Aroma), den Geschmack, die Textur und die Farbe beeinflusst. Der wahrgenommene Flavor bei einer Mahlzeit wiederum, ist das Resultat verschiedener Reize, die von Zellen der Zunge, des Mundraums und der Nase verarbeitet werden. Die Geschmacksempfindung wird dabei als gustatorische Wahrnehmung bezeichnet, während bei der deutlich komplexeren Geruchs- oder Aromawahrnehmung über die Nase vom olfaktorischen Sinneseindruck gesprochen wird. Durch ihn kann eine Vielzahl von verschiedenen flüchtigen Geruchsstoffen wahrgenommen werden. [4]
Durch Geschmacksknospen auf der Zunge kann der Mensch zwischen fünf Grundgeschmacksarten differenzieren: Süß, sauer, bitter, salzig und umami. [4] Über die Geschmackswahrnehmung fettig wird aktuell noch diskutiert. Die topographische Verteilung der Geschmackssensoren auf der Zunge für die verschiedenen Geschmacksqualitäten variiert, sodass z. B. süß eher an der Zungenspitze wahrgenommen wird und bitter weiter hinten auf der Zunge. [3, 5]
Die Knospen setzen sich jeweils aus 10-50 Geschmackssinneszellen zusammen. Geschmacksstoffe aus der Nahrung binden dann an spezifische Rezeptoren, die sich in der Membran dieser Sinneszellen befinden. Die Bindung von Rezeptorprotein und Geschmacksstoff löst je nach Geschmacksrichtung andere Mechanismen aus, sodass anschließend eine synaptische Reizweiterleitung über Nervenbahnen zum Gehirn stattfindet. [3]
Bei salzigem oder saurem Geschmack sind Ionen die Auslöser für chemische Reize an den Geschmackszellen, weshalb von ionotropen Rezeptoren oder Ionenkanälen gesprochen wird. Für die Geschmackswahrnehmungen süß, bitter und umami werden metabotrope Rezeptoren angenommen, bei denen der chemische Reiz durch Wechselwirkungen von Geschmacksstoffen mit Zellmembranproteinen hervorgerufen wird, die das Signal über intrazelluläre,
G-Protein-vermittelte Kaskaden weiterleiten. [5, 6]
Im Vergleich zur Geschmacksrichtung süß (2-3 verschiedene Rezeptoren) gibt es für die Geschmacksrichtung bitter mehr als 50 verschiedene Rezeptoren, sodass zahlreiche Bitterstoffe erkannt werden können. Dies ist vor allem deshalb sinnvoll, weil evolutionär gesehen bittere Nahrungsmittel häufig giftig waren und die Vielzahl an Bitter-Rezeptoren somit als Schutzfunktion vor Gefahren zu sehen ist. Ein Übermaß an Bitterstoffen löst einen Würgereiz aus, sodass potentiell giftige Nahrung wieder ausgeschieden wird. [1]
Wirkmechanismus im Körper
Bitterstoffe intensivieren auf reflektorischem Weg ausgehend von den Sinnesorganen der Mundhöhle (Bitter-Rezeptoren) über den Nervus vagus die Speicheldrüsen- und Magensaftsekretion (Induktion der Salzsäure- und Pepsinsekretion = enkephalische Phase, vgl. Bild 1). [7]
Durch Förderung der Ausschüttung des Hormons Gastrin kommt es zu einer Stimulation der Peristaltik des Magens und des Dünndarms. [7]
Außerdem wird reflektorisch die Ausschüttung von Galle induziert (cholagoger Effekt) und vermehrt Verdauungssekrete der Bauchspeicheldrüse freigesetzt, die beide in den Zwölffingerdarm (oberer Abschnitt des Dünndarms) gelangen (vgl. Bild 2). [7]
Die Durchblutung der Darmschleimhäute wird gefördert, was die Aufnahme von Vitaminen (A, D, E, K), Eisen (Fe III) und Aminosäuren wie auch die Abgabe von auszuscheidenden Stoffwechselprodukten erleichtert (vgl. Bild 3). [7]
Die komplexe Wirkung des Hormons Cholecystokinin
Die Bildung des Hormons Cholecystokinin (CCK) im oberen Zwölffingerdarm wird vor allem durch Monoglyceride und freie Fettsäuren, aber auch durch Bitterstoffe ausgelöst. Durch freigesetztes CCK wird die Kontraktion der glatten Muskulatur der Gallenblase induziert, wodurch vermehrt Gallenflüssigkeit freigesetzt wird, deren Salze wiederum den sauren Nahrungsbrei aus dem Magen neutralisieren und die darin enthaltenen Lipide emulgieren. Weiterhin sorgt CCK für die Anregung der Bauchspeicheldrüse, die somit ein alkalisches Sekret mit Lipasen (= Enzymen zur Fettverdauung) produziert. CCK stimuliert die Kontraktion von Dünn- und Dickdarm und hemmt, als einer der Gegenspieler des Hormons Gastrin, die Salzsäure-Ausschüttung im Magen ebenso wie das Verdauungshormon Sekretin. [8]
Im Gehirn ist das Hormon als einer von vielen Faktoren an der Übermittlung des Sättigungsgefühls durch Hemmung des Hunger auslösenden Hormons Ghrelin beteiligt sowie an Lern- und Gedächtnisprozessen und an der Modulation von Angst und Panikzuständen. [8]
Ernährungsphysiologische Bedeutung
Bitterstoffe sind, wie im vorangegangenen Kapitel beschrieben, in der Lage eine Fülle von biochemischen Wirkmechanismen im Körper zu entfalten, wodurch verschiedenen Funktionsstörungen vorgebeugt werden kann. Bittere Pflanzeninhaltsstoffe wie Polyphenole, Tannine und Terpene beeinflussen laut Überall et al. [9] die Mikroflora des Darms, tragen zu einer besseren Verdauung bei, zeigen eine antioxidative, leberprotektive sowie entzündungshemmende Wirkung. Auch die Steigerung von Gedächtnisleistungen sowie die Minderung von Heißhunger auf süße Lebensmittel werden den Bitterstoffen nachgesagt, wodurch zugleich das Risiko für Fettleibigkeit oder andere metabolische Anomalitäten gesenkt wird. [9]
Im Steinzeitalter war die Zufuhr an Bitterstoffen durch die Nahrung um Faktor 10 höher als heutzutage. Die Hauptquellen waren dabei bittere Medizin aus Wurzeln und oberirdischen Pflanzenteilen ebenso wie Kräuter und Pilze. [9] Im Laufe der Jahre wurde der häufig unerwünschte Bittergeschmack weggezüchtet, wodurch ehemals bittere Lebensmittel, wie z. B. die Zucchini, der Kürbis oder die Gurke, wichtige Funktionen verloren haben. Die Gefahr für gastrointestinale Beschwerden oder Funktionsstörungen ist bei dem heutigen Bitterstoffkonsum höher im Vergleich zur Ernährungsweise des Steinzeitmenschen. [1, 8]
Für den Ersatzkonsum können z. B. Kaffee, Kräuterschnäpse oder Bitterstofftonika eingesetzt werden. [1]
An einigen Alpenkräutern werden die vielseitigen ernährungsphysiologischen Wirkungen von Bitterstoffen durch Überall et al. [9] verdeutlicht: Bockshornkleesamen wirken entzündungshemmend und darm- sowie leberreinigend; Brennnessel und Thymian sind blutreinigend und liefern Eisen während Eibisch reizlindernd ist; Eisenkraut regt die Gallensekretion an ebenso wie Schafgarbe, die außerdem antientzündlich und leberstärkend wirkt usw. Insgesamt korreliert eine intakte Darmflora und somit die gesamte Darmgesundheit mit dem regelmäßigen und erhöhten Konsum von Bitterstoffen, da diese in den Regelmechanismus des gesamten Verdauungsapparates eingreifen. [9]
Zusammengefasst nehmen Bitterstoffe wichtige Funktionen im Stoffwechsel von Leber und Galle, für den Magen-Darmtrakt und dessen Durchblutung sowie für das gesamte Immunsystem ein. [1]
„Was bitter dem Mund, ist dem Magen gesund.“
Wissenswertes & Tipps
- Die individuelle Geschmackswahrnehmung hängt von der Verteilung der Rezeptorgenvarianten auf den Chromosomen ab, sodass manche Menschen z. B. den Bitterstoff der Artischocke als besonders intensiv wahrnehmen, andere hingegen nahezu gar nicht. [1]
- Die Wahrnehmung des Bittergeschmacks ist altersabhängig. Kleinkinder zeigen deshalb eher Ekel und Abscheu beim Verzehr von bitteren Lebensmitteln, während die Akzeptanz für Bitteres mit zunehmendem Alter steigt bzw. antrainiert wird. [1] Dies liegt unter anderem an der Zahl der Geschmacksknospen, die im Alter nur noch bei < 2000 liegt, bei der Geburt hingegen bei 10.000. [3]
- Frauen reagieren i. d. R. empfindlicher auf Bitterstoffe. [1]
- Die positiven, physiologischen Wirkungen der Bitterstoffe werden am besten beim regelmäßigen Konsum vor den Mahlzeiten erzielt. [1]
- Der Heißhunger auf süße Kost wird durch den Verzehr bitterstoffreicher Nahrung reduziert, weil ein Sättigungssignal induziert wird. [1]
- Aufgrund der Ausschüttung von Gallensaft, der sogenannten cholagogen Wirkung, ist eine leicht abführende Wirkung von Bitterstoffen möglich. [10]
Datenbank für Bitterstoffe
Seit 2011 existiert eine für die Bitterstoff-Forschung wertvolle Hilfe in Form der frei zugänglichen Internet-Datenbank „BitterDB”. [11] Sie enthält zahlreiche Informationen über die derzeit 550 bekannten Bitterstoffe. [12] Initiator und Träger ist das Institut für Biochemie, Lebensmittel- und Ernährungswissenschaften der Fakultät für Agrikultur an der Hebrew University in Jerusalem.
Informationen können auf verschiedene Weise abgerufen werden, z. B. nach unterschiedlichen Kriterien bei der Suche nach bitteren Verbindungen und deren Bitterstoff-Rezeptoren oder nach bitteren Molekülen mit einer ähnlichen Struktur.
Quellen
- Siedentopp, U. Bitter–mehr als ein Geschmack. Deutsche Zeitschrift für Akupunktur, 2016, 59, (3), S. 41-44.
- Franke, E., Lieberei, R., Reisdorff, C. Nutzpflanzen. Georg Thieme Verlag, 2012.
- www.anatomie.net/Unterricht/Skripte/geschmack.pdf, Zugriff: 21.07.2017.
- www.chm.tu-dresden.de/lc2/dateien/2017_DLG_Geruchsschulung_und_ Aromaschulung.pdf, Zugriff: 21.07.2017.
- www.bilder.buecher.de/zusatz/00/00511834_lese_1.pdf, Zugriff 21.07.2017.
- www.lebensmittellexikon.de/g0000070.php, Zugriff: 21.07.2017.
- Rehner, G., Daniel, H. Biochemie der Ernährung, Springer-Verlag Berlin Heidelberg, 2010, S. 177-198.
- Schneider, R. Effekte des Neuropeptids Cholecystokinin auf Gedächtnisprozesse beim Menschen. Dissertation, Universität Düsseldorf Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät, 2006.
- Überall, F., Kraneveld, A. D., Szklany, K., de Theije, C. G., Leal-Díaz, A. M., Noriega, L. G., González-Cervantes, R. M. Bitterstoffe für einen gesunden Darm. Erfahrungsheilkunde, 2017, 66, (3), S. 177-181.
- Bühring, U. Praxis-Lehrbuch der modernen Heilpflanzenkunde-Mängelexemplar. Haug Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart, 2011, S. 736.
- http://bitterdb.agri.huji.ac.il/bitterdb/dbbitter.php
- Wiener, A., Shudler, M., Levit, A., Niv, M. Y. BitterDB: a database of bitter compounds. Nucleic acids research, 2011, 40, (D1), D413-D419.